Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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08.06.2017 Brief an Martin Schulz

Per Mail

Parteizentrale der SPD
Herrn Martin Schulz
Willy-Brandt-Haus
Wilhelmstraße 141
10963 Berlin

Sehr geehrter Herr Schulz,

der designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warf am 13. Februar in seiner Dankesrede die Frage auf, was der Kitt ist, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Diese Frage stellt sich uns auch. Die Wirkung der Regierung und des Parlamentes auf die Gesellschaft ist es mit Sicherheit nicht. Wir haben Ihnen am 30. Januar 2017 per Mail einen Brief gesandt, in dem wir Ihnen schilderten, wie sehr wir uns von der Regierung und der Großen Koalition betrogen fühlen. Obwohl wir uns als Verband der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung mit 600 Mitgliedern, darunter acht Bundesverbänden, mit als führend in der Thematik behinderungsbedingter Assistenz sehen, gaben Sie den Brief zur Beantwortung weiter. Sie ließen uns mitteilen, dass unsere Kritik im Bundessozialministerium wie auch in der SPD-Bundestagsfraktion bekannt sei. „Auch Ministerin Andrea Nahles erklärte zum BTHG, dass noch nie „ein Sozialgesetz auf einen Schlag gemacht worden". Es Bedarf einiger Nachbesserungen. Das Gesetz ist aus diesem Grund jedoch nicht per se anzulehnen. Menschen mit Behinderung sind für ihre Teilhabeleistungen nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen. Auch wurden behördliche Vorgänger vereinfacht, um die Arbeit der Antragsteller zu erleichtern."

Sehr geehrter Herr Schulz, wenn wir Ihnen schreiben, wie sehr wir von diesem schlechten Gesetz betroffen sind, dann erwarten wir von IHNEN, dass Sie auf diesen Brief eingehen! Es ist eine Ohrfeige für die betroffenen Menschen, dass ihnen die Menschenrechte nicht en bloc zugestanden werden. Stattdessen sollen sie - nach Gutsherrenart in bekömmlichen Häppchen - stets zum Ende einer Legislatur gewährt werden. Herr Schulz, wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie in der Öffentlichkeit von Gerechtigkeit reden? Schließlich war es Ihre Sozialministerin, die uns verkündete, dass nicht alle unsere Wünsche erfüllt werden können. Dieser Satz trieb nicht nur mir Tränen der Wut und Enttäuschung in die Augen. Zunächst nimmt man uns unsere Menschenrechte, oft verbunden mit unserer Würde, sobald wir gesetzlich verbürgte Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen müssen. Wenn wir diese dann wieder zurückfordern, tut man, als wären wir kleine Kinder, denen man auch nicht alle Wünsche erfüllen könne.

Wir haben lange überlegt, ob wir diesen Dialog nochmals aufnehmen wollen. Aber wir vermuten, dass Sie bei der kommenden Bundestagswahl keine Stimmen zu verschenken haben. Schauen Sie sich dieses Gesetz, aber auch die Pflegestärkungsgesetze an. Vielleicht erkennen Sie selbst, dass damit den Sozialkonzernen und den Kostenträgern „Teilhabe" gewährt wurde, die davon betroffenen Menschen und ihre Interessen blieben dagegen größtenteils außen vor!

Sehr geehrter Herr Schulz, Deutschland hat die Behindertenrechtskonvention vorbehaltlos - und nicht in Teilen - unterschrieben! Deutschland hat in seine Verfassung eingetragen, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Und dieses Deutschland hat nun mit dem Bundesteilhabegesetz gegen massenhafte deutschlandweite und lautstarke Proteste ein Gesetz zusammengeschustert, das

  • behinderte Menschen um Jahrzehnte in Zeiten zurückwirft, in denen Behindertenanstalten noch von Amts wegen befüllt wurden.
  • behinderte Menschen nicht aus den Fängen der Sozialhilfe befreit, sondern den Behörden ausdrücklich noch mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten einräumt. Darauf stürzten diese sich noch zum Ende des Jahres 2016, indem sie nach Gutdünken Leistungen ganz oder teilweise aufkündigten. Bis zum heutigen Tag werden oft nur Vorschüsse gezahlt und die Bürgerinnen und Bürger im Ungewissen gelassen, wie es mit ihrem Leben weitergehen kann. Bescheide werden nur noch befristet erstellt, als ob unser Leben im 2-Monats-Rhythmus getaktet wäre! Die Liste der Unsäglichkeiten, die uns in den letzten Monaten im Rahmen unserer Beratungsarbeit erreicht hat, ist sehr lang.
  • das rein zum Zweck der Abschreckung von Bürgerinnen und Bürgern, die Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen müssten, jährlich eine halbe Milliarde Euro zum Fenster rauswirft. So viel kostet die ständige Ãœberprüfung von Einkommen und Vermögen und die Wegnahme derselben, obwohl Behindertenrechtskonvention und Artikel 3 GG das Gegenteil zusagen.

Sehr geehrter Herr Schulz, es erfüllt uns mit großer Sorge, dass sich die Sozialdemokratie so aus der Verantwortung für die Behindertenpolitik entfernt hat. Die Parteien der Großen Koalition (als groß wird nur die Zahlenüberlegenheit im Gedächtnis bleiben) werden nicht erwarten können, dass wir Menschen mit Behinderungen ihnen nochmals unsere Stimme geben. Das ist angesichts des übrigen Angebotes sehr, sehr schade. Aber nochmals liefern wir uns nicht diesen Parteien aus.

Wir brauchen ein verbindliches Signal, dass diese Gesetze durch verfassungskonforme, die auch der Behindertenrechtskonvention gerecht werden, ersetzt werden, und zwar nicht am Ende der nächsten Legislaturperiode, sondern zu Beginn derselben. Und letztlich, dass Sie dies auch fordern, wenn Sie nochmals Regierungsverantwortung tragen sollten. Denn in der Opposition waren den jeweiligen Parteien derartige Zusagen und Forderungen stets wohlfeil. Zeigen Sie uns bitte, was Sie mit Ehrlichkeit und Gerechtigkeit meinen!

Sollte der bisherige Schriftwechsel nicht mehr auffindbar sein, unseren Brief und die Antwort Ihres Herrn Hertel finden Sie im Internet.

Mit freundlichen Grüßen

FORUM SELBSTBESTIMMTER ASSISTENZ BEHINDERTER MENSCHEN E.V.
Gerhard Bartz Vorsitzender

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