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Urteil 019

5 G 303/01 - Ka

VERWALTUNGSGERICHT KASSEL

Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

des Herrn . . . . . . . . . . . . . . . .
Straße . . ., 34131 Kassel,

Antragstellers,

bevollmächtigt:
Rechtsanwälte Helga Wonnemann und Kollegen,
Große Rosenstraße 21, 34117 Kassel,

gegen die Stadt Kassel,
vertreten durch den Magistrat – Rechtsamt -,
Rathaus, 34117 Kassel,

Antragsgegnerin,

wegen Sozialhilferechts

hat das Verwaltungsgericht Kassel - 5. Kammer - durch

Vorsitzenden Richter am VG Heidemann,
Richter am VG Spillner,
an das VG Kassel abgeordnete Richterin am AG Dr. Lambrecht

am 12. Februar 2001 beschlossen:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Antragsteller ab 15.02.2001 bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache die Kosten für Aufwendungen für besondere Pflegekräfte (Hilfe zur Pflege) - Kosten der ambulanten Betreuung durch einen professionellen Pflegedienst - über täglich 4 Stunden 20 Minuten Pflege und 2 Stunden hauswirtschaftliche Hilfe hinaus im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu übernehmen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dem Antragssteller wird Prozeßkostenhilfe für den Rechtszug erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwältin Wonnemann, Große Rosenstraße 21, 34117 Kassel, bewilligt.

Gründe :

Der am 08.02.2001 gestellte Antrag,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, mit sofortiger Wirkung ab 15.02.2001 bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache die Kosten für Aufwendungen für besondere Pflegekräfte (Hilfe zur Pflege) - Kosten der ambulanten Betreuung durch einen professionellen Pflegedienst - über täglich 4 Stunden 20 Minuten Pflege und 2 Stunden hauswirtschaftliche Hilfe hinaus im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu übernehmen,

ist zulässig und begründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist sonach ein Anordnungsanspruch, d. h. ein subjektiv-öffentliches Recht des betreffenden Antragsstellers, für das letzterer einstweiligen Rechtsschutz durch eine gerichtliche Regelung begehrt. Der Anordnungsanspruch ist dabei identisch mit dem im Hauptsachverfahren geltend zu machenden materiell-rechtlichen Anspruch.

Neben dem Anordnungsanspruch setzt § 123 Abs. 1 VwGO einen Anordnungsgrund voraus. Ein solcher ist bei Dringlichkeit der begehrten Entscheidung gegeben, d.h. das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung muß dem Antragsteller unzumutbar sein. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO muß der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und -grundes glaubhaft machen. Die einen Anordnungsanspruch und -grund begründenden Tatsachen sind glaubhaft gemacht, wenn deren Vorliegen für das erkennende Gericht überwiegend wahrscheinlich sind. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zunächst das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Bei der von dem Antragsteller beanspruchten Hilfe zur Pflege handelt es sich um eine Sozialhilfeleistung, auf die der Antragsteller zur Deckung des bei ihm vorhandenen sozialhilferechtlichen Bedarfs dringend angewiesen ist. Eine Eilbedürftigkeit ist gegeben, weil der schwerstpflegebedürftige Antragsteller zumindest zur Zeit einer Rund-um-die-Uhr-Pflege bedarf, und diese Pflege derzeit nicht sichergestellt ist. Es besteht kein Anlaß zu Zweifeln an dem Vortrag des Antragstellers, er habe sich von seiner Ehefrau getrennt, so daß diese nicht mehr wie bisher die von ihr übernommene Pflege leiste. Aus einer Bescheinigung von Herrn Dr. Mahrt vom 07.02.2001 geht hervor, daß der Antragsteller zweistündlich umgelagert werden muß, also auch während der Nachtstunden, wegen eines nässenden Dekubitalgeschwürs.

Außerdem kann der Antragsteller auch wegen auftretender Erstickungsanfälle aufgrund des Fehlens eines geeigneten Notrufsystems nicht ohne Betreuung bleiben. Die Übernahme der erforderlichen Pflegekosten durch die Krankenkasse des Antragstellers ist nicht sichergestellt.

Der Antrag ist darüber hinaus auch begründet, da dem Antragsteller ein Anspruch auf Gewährung von Hilfe zur Pflege zusteht. Der Antragsteller ist, was zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist, schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe 3). Ebenfalls vom beschließenden Gericht nicht zu bezweifeln ist, daß der Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff. BSHG erfüllt und einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Gewährung dieser Hilfe hat. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist auch, daß der Antragsteller der Heranziehung einer besonderen Pflegekraft im Sinne von § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG bedarf. Streitig ist zwischen den Beteiligten allerdings, in welchem Umfang der Pflegebedarf des Antragstellers besteht und in welchem Rahmen die Antragsgegnerin daher Kosten zu tragen hat.

Nach Auffassung der Kammer steht dem Antragsteller die von ihm beanspruchte Hilfe zur Pflege zu, weil durch die Trennung von seiner Ehefrau diese nunmehr keine Pflegeleistungen für den Antragsteller mehr erbringt. Die Notwendigkeit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung ergibt sich zur Zeit zum einen daraus, daß der Antragsteller unter einem Dekubitalgeschwür leidet, was eine Umlagerung des Antragstellers in zweistündigem Rhythmus erforderlich macht, auch während der Nachtstunden. Der Antragsteller ist nicht in der Lage, die Umlagerung selbständig zu bewältigen. Soweit die Antragsgegnerin die Ansicht vertritt, die Finanzierung dieses Bedarfs sei Aufgabe der Krankenversicherung des Antragstellers, ist darauf hinzuweisen, daß zumindest derzeit von der Krankenversicherung tatsächlich keine Leistung erbracht wird. Wegen der akuten Erkrankungssituation kann hier auch nicht auf das Gutachten der Werner-Wicker-Klinik vom 13.07.2000 zurückgegriffen werden, das einen ständigen nächtlichen Pflegebedarf nicht festgestellt hat. Dieses Gutachten betrifft nicht den Fall der akuten Decubitus-Behandlung.

Der Antragsteller hat außerdem glaubhaft gemacht, daß die Notwendigkeit besteht, ständig Hilfestellungen erhalten zu können. Nach der aus dem Akteninhalt belegten Gefahr im Falle von Verschleimungen und Verschlucken, die auf die mangelnde Fähigkeit des Antragstellers beruht, abhusten zu können, kann der Antragsteller in eine lebensbedrohliche Lage kommen. Für die Kammer erscheint es glaubhaft, daß der Antragsteller in einer solchen Situation auf die Hilfestellung durch einen Bereitschaftsdienst angewiesen ist.

Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, die Werner-Wicker-Klinik habe in ihrem Gutachten vom 13.07.2000 die Auffassung vertreten, der Antragsteller sei in der Lage, ein Hausnotrufsystem zu bedienen, was die Klinik in ihrem Schreiben vom 22.11.2000 nochmals wiederholt, ist anzumerken, daß ein solches Notrufsystem bisher offenbar nicht installiert ist. Hinzu kommt, daß aus einem Schreiben des Deutschen Roten Kreuzes an die Antragsgegnerin vom 25.10.2000 hervorgeht, daß das vom DRK angebotene Notrufsystem für den Antragsteller nicht geeignet ist. Es wird in dem Schreiben bezweifelt, daß der Antragsteller das Notrufsystem bedienen kann, außerdem benötigt das Deutsche Rote Kreuz etwa 30 Minuten, um zum entsprechenden Einsatzort, also zu dem Antragsteller, zu gelangen. Im Falle eines Erstickungsanfalles verspricht es also nicht die erforderliche Hilfe.

Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Antragsgegnerin zu tragen.

Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung :

Gegen diesen Beschluß steht den Beteiligten die Beschwerde zu, wenn sie vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird.

Die Beschwerde ist nur zuzulassen, wenn

  1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen,
  2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
  3. Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  4. der Beschluß von einer Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  5. ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem

Verwaltungsgericht Kassel,
Tischbeinstraße 32,
34121 Kassel

zu stellen. Er muß den angefochtenen Beschluß bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe darzulegen, aus denen die Beschwerde zuzulassen ist.

Vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof muß sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Beschwerde.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Heidemann                                                        Spillner                                                  Dr. Lambrecht

Ausgefertigt Kassel, den 14.2.2001 Angestellte als Urkundsbeamter der Geschäftstelle des Verwaltungsgerichts Kassel

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