von Edgar Döll
        
Ja, wie soll ich anfangen? Politisch, nein das übernehmen andere. 
          Ich fange eher chronologisch und persönlich an. Nach Beendigung 
          meiner Ausbildung zum Bürokaufmann in einem Internat für Körperbehinderte 
          ließ mich der Drang nach Selbstbestimmung in den eigenen vier 
          Wänden nicht mehr ruhen. Durch einen wunderbaren Zufall bekamen 
          meine ebenfalls behinderte Partnerin und ich eine rollstuhlgerechte 
          Drei-Zimmer-Wohnung in unserer kleinen Stadt. Alles schön und gut. 
          Aber wie sollte ich meine persönliche Pflege organisieren? Das 
          wurde uns nämlich im Internat nicht beigebracht. Also hieß 
          die Devise, zuerst einmal improvisieren. So konnte ich mit Hilfe des 
          damaligen Landespflegegeldes in Rheinland-Pfalz zwei Studenten bezahlen, 
          die morgens eine halbe Stunde und abends eine halbe Stunde bei mir tätig 
          waren. Es war eine Art der Minimalversorgung. Erst einmal überwog 
          die Freude, unabhängig und ohne ständige Aufpasser im Rücken, 
          ein halbwegs normales Leben führen zu können. Außerdem 
          übernahm meine Lebensgefährtin glücklicherweise einige 
          leichte Tätigkeiten im Tagesablauf, so dass wir zu Recht kamen.
        
Andere Lösungen müssen gefunden werden
        
Aber wie das so ist mit progressiven Erkrankungen: auch bei mir wurde 
          die Assistenz immer mehr und andere Lösungen mussten gesucht und 
          gefunden werden. Verbunden mit viel Mühe fanden wir endlich einen 
          ambulanten Dienst, der vorübergehend die komplette Abendversorgung 
          übernahm. Zu diesem Zeitpunkt wurde mein, über alles geliebter 
          Kostenträger, das erste Mal so richtig auf mich aufmerksam. Natürlich 
          wuchs der Umfang für meine pflegerische Versorgung in den nächsten 
          Jahren und somit reichte das Landespflegegeld nicht mehr, um alle anfallenden 
          Kosten abzudecken. Freunde und Bekannte mussten immer wieder aushelfen, 
          damit ich zumindest ins Bett und aus dem Bett kam. Jeder, der mit Assistenz 
          zu tun hat, weiß dass diese Zustände nur eine gewisse Zeit 
          funktionieren. So war das auch bei mir.
        
Jetzt hieß es, dringend einen kompetenten Anbieter finden, der 
          meine Versorgung sicherstellen konnte. Zur Sozialstation wollte ich 
          auf keinen Fall. Die Parallelen zu einem Internat waren einfach zu groß. 
          Die ortsansässigen Malteser übernahmen zunächst einmal 
          den kompletten Frühdienst, der zuständige Kostenträger 
          die komplette Finanzierung. Schon damals reifte der Gedanke in mir, 
          meine Versorgung völlig auf eigene Räder zu stellen. Allerdings 
          war die Zeit dafür noch lange nicht reif.
        
Ein Dienst wird gegründet
        
Je rascher die Behinderungen meiner Lebensgefährtin und mir fortschreiten, 
          desto schwieriger gestaltete sich unsere persönliche Situation. 
          Mittlerweile gab es eine Initiative, die sich mit der Einrichtung eines 
          neuen ambulanten Dienstes intensiv beschäftigte. Dieser sollte 
          ausschließlich körperbehinderte Menschen in größerem 
          Umfang und besserer Qualität versorgen. Als Träger wurde eine 
          große kirchliche Einrichtung gewonnen. Die Verhandlungen mit dem 
          Kostenträger verliefen eigentlich besser als gedacht, und so begann 
          der Dienst 1991 mit der praktischen Arbeit. Mein Stundenumfang war mittlerweile 
          auf über fünf Stunden pro Tag angewachsen. Das nächtliche 
          Drehen übernahm weiterhin meine Partnerin. Es war zwar eine deutliche 
          Verbesserung der ganzen Situation, aber eigentlich nicht das, was ich 
          mir unter einem selbstbestimmten Leben vorgestellt hatte. So konnte 
          ich z. B. meine Mitarbeiter nicht selbst aussuchen und war ständig 
          auf festgelegte Zeiten in meinem Tagesablauf angewiesen. Manchmal kamen 
          bis zu sechs verschiedene Personen dieses ambulanten Dienstes während 
          eines Tages zu mir. Somit musste ich mich den ganzen Tag damit auseinandersetzen, 
          unfreiwillige Kompromisse einzugehen.
        
Nach weiteren zwei Jahren war ich gezwungen, mich um einen zusätzlichen 
          Dienst zu kümmern, der meine nächtliche Versorgung übernehmen 
          würde, da meine Lebensgefährtin nach einer schwierigen Schulteroperation 
          dies nicht mehr bewerkstelligen konnte. An dieser Stelle bekam ich zum 
          ersten Mal die Macht eines Kostenträgers in aller Deutlichkeit 
          zu spüren. Die Kostenübernahme dieses zusätzlichen Dienstes 
          wurde einfach abgelehnt. Nach Einschaltung mehrerer Selbsthilfeorganisationen 
          und Beratungsstellen sowie einigen Kommunalpolitikern gab es nach mehreren 
          Monaten schließlich doch noch eine Einigung. Alles in allem war 
          dies eine enorme Belastung für mich, weil mir schlagartig klar 
          geworden war, dass behinderte Mitmenschen in unserer Gesellschaft nur 
          als Kostenfaktor definiert wurden.
        
Von der Heimeinweisung bedroht
        
So vergingen wieder einige Jahre, ständig auf der Suche nach anderen 
          Möglichkeiten, meine persönliche Assistenz besser zu organisieren. 
          Einen Höhepunkt in meinem Ärger mit dem Kostenträger 
          war die Androhung, mich aus Kostengründen (§ 3a Bundessozialhilfegesetz) 
          in ein Pflegeheim für Körperbehinderte einzuweisen. Nur durch 
          persönliche Beziehungen in die Landespolitik und durch massive 
          Öffentlichkeitsarbeit mit Presse und Fernsehen konnte diese Bedrohung 
          abgewendet werden. Hierbei halfen mir besonders das Zentrum für 
          selbstbestimmtes Leben in Mainz, die Deutsche Gesellschaft für 
          Muskelkranke und einige kommunale Behindertenbeiräte.
        
Das Arbeitgebermodell
        
Alles lief nun auf das sogenannte Arbeitgebermodell hinaus. Einige 
          meiner Freunde, die in anderen Bundesländern wohnten, berichteten 
          beharrlich von dieser Möglichkeit, die mich immer mehr begeisterte. 
          So stellte ich im Januar 2000 den Antrag beim zuständigen Kostenträger 
          zur Übernahme aller Aufwendungen für das Arbeitgebermodell. 
          Das Problem war, außer mir hatte in der ganzen Region noch niemand 
          das Arbeitgebermodell beantragt, und somit redete der Kostenträger 
          sich immer wieder damit heraus, man habe mit so etwas keinerlei Erfahrung. 
          Es wurden langwierige Auseinandersetzungen mit den Behörden. Zusätzlich 
          war der ambulante Dienst, den ich immer noch in Anspruch nahm, Teil 
          eines sehr renommierten kommunalen Trägers und diesem fährt 
          man nicht so einfach ans Bein. Soll heißen, wie kann man es als 
          Behinderter es wagen, einem solchen Dienst schlechte Arbeit nachzusagen.
        
Die ganze Angelegenheit verzögerte sich auf insgesamt 16 Monate 
          Genehmigungsverfahren. Zwischendurch gab es zwar kleine Fortschritte, 
          wie z. B. die Begutachtung durch den medizinischen Dienst, die sehr 
          zügig vonstatten ging. Außerdem kamen langsam Bewegungen 
          in die Geschichte, da wir in Zusammenarbeit mit einigen Selbsthilfeorganisationen 
          zum Thema Arbeitgebermodell viel an Öffentlichkeitsarbeit leisteten. 
          Mein großes Glück war allerdings, dass der bestehende ambulante 
          Dienst aufgrund einer hohen Verschuldung schließen musste, so 
          dass mein Kostenträger auf einmal ganz eilig mir das Arbeitgebermodell 
          genehmigte. Am 1. September 2001 begann ich mit sieben Assistenten und 
          bis heute läuft alles hervorragend und meine Lebensqualität 
          hat sich enorm gesteigert.
        
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