von Ottmar Miles-Paul
        
Bereits zu Beginn unseres Gespräches macht Erika Michels deutlich, 
          dass sie ihre gegenwärtige Situation der Assistenzorganisation 
          als behinderte Arbeitgeberin auf keinen Fall mehr eintauschen möchte. 
          Und ins Heim will sie nie! Die heute 55jährige Erika Michels aus 
          Illerich, einem kleinen Dorf in der Nähe von Kaisersesch und Cochem 
          an der Mosel, ist sonst eher zu bescheiden, wie sie selbst sagt, doch 
          in diesem Punkt weiß sie, was sie will. "Ich fahre öfters 
          in Altenheime und sehe, was dort los ist. Ich bin mit meiner derzeitigen 
          Situation vollstens zufrieden, auch wenn ich noch viel üben muss, 
          um eine gute behinderte Arbeitgeberin zu sein," erzählt Erika Michels 
          engagiert. 
        
Seit 15. Mai 2000 ist die lebensfrohe Frau Arbeitgeberin der bei ihr 
          angestellten Assistentinnen. "Die Erledigung des Schriftkrams wie Lohnabrechnungen 
          und Stundenpläne ist für mich kein Problem, da ich gerne den 
          Computer nutze. Hinsichtlich der Einstellung der Assistentinnen und 
          meines Durchsetzungsvermögens muss ich aber noch viel üben. 
          Doch wenn 90jährige das Arbeitgebermodell erfolgreich praktizieren 
          können, schaffe ich das auch." Erika Michels ist also, wie die 
          meisten behinderten ArbeitgeberInnen, keineswegs eine geborene Arbeitgeberin, 
          sondern hat sich viele Jahre trotz erheblicher Einschränkungen 
          durchs Leben geboxt, bis sie diese Hilfeform für sich entdeckt 
          hat. 
        
Die Behinderung prägt die Jugend
        
Das 13. Lebensjahr brachte für die in Kail an der Mosel geborene 
          Erika Michels einschneidende Veränderungen in ihrem bis dahin recht 
          überschaubaren Leben. Sie erkrankte damals an chronischem Gelenkrheuma, 
          das sich zunehmend verschlechterte und letztendlich zum Ersatz der Gelenke 
          in beiden Knien und Hüften führte. "Wegen der chronischen 
          Erkrankung konnte ich leider keinen Beruf erlernen. Als ich dann zwischenzeitlich 
          wieder besser dran war und wieder richtig laufen konnte, wollte ich 
          unbedingt arbeiten. Ich bin schließlich in einem Arzthaushalt 
          als Haushälterin gelandet. Damals wollte mein Arbeitgeber, dass 
          ich Arzthelferin lernen sollte, wozu mich die Arztfamilie auch immer 
          ermunterte. Doch da hätte ich von zu Hause weg gemusst, was mir 
          als sehr heimatverbundenes Wesen schwer gefallen wäre," beschreibt 
          Erika Michels ihren beruflichen Werdegang. Später arbeitete sie 
          noch in einem Rechtsanwaltshaushalt, bevor sie dann heiratete. "Dann 
          habe ich meinen eigenen Haushalt in dem behindertengerechten Haus gemacht, 
          das ich mit meinem Mann zugelegt hatte." 
        
Auf sich allein gestellt
        
1971 war für Erika Michels in doppelter Hinsicht ein einschneidendes 
          Jahr. "Innerhalb von zwei Wochen hatte ich zwei Hüftoperationen 
          und dann starb mein Mann. Wenn der noch leben würde, bräuchte 
          ich heute keine Assistenz, weil er mir immer viel geholfen hat," fasst 
          Erika Michels diese Zeit zusammen. Auf sich allein gestellt, ging es 
          nach den Operationen zwar körperlich wieder aufwärts, so dass 
          sie viele Tätigkeiten im Haushalt und im Garten noch selbst erledigen 
          konnte, doch weitere Operationen in den nächsten Jahren zehrten 
          an der Bewegungsfähigkeit und Energie der Frau.
        
Wie viele behinderte Menschen in ähnlichen Situationen hat auch 
          Erika Michels versucht, sich so gut wie möglich ohne fremde Hilfen 
          durch zu schlagen. "Ich habe mich länger allein durchgeboxt als 
          es eigentlich ging und vernünftig war. Mit Unterachselstützen 
          habe ich viele Aufgaben im Haushalt und Alltag erledigt, weil ich anders 
          nicht mehr gehen konnte. Seit drei Jahren sitze ich nun fest im Rollstuhl, 
          für den ich mich wohl oder übel entscheiden musste, weil die 
          Halswirbelsäule durch die Stützen so strapaziert war, dass 
          die Gefahr bestand, dass ich bei der geringsten Bewegung gelähmt 
          sein könnte." 
        
Mehr Hilfe ist nötig
        
Nachdem sie anfangs eine Putzfrau hatte, die einmal die Woche vorbei 
          kam und jemand, der ihr im Garten half, trat sehr schnell eine Überlastung 
          für sie und ihren Helfer ein, der selbst psychisch angeschlagen 
          und nur eingeschränkt belastbar ist. "Ich kam allein in der Küche 
          einfach nicht mehr klar. Schwere Arbeiten und das Anziehen konnte ich 
          nach und nach auch nicht mehr bewältigen. Dabei war mir klar, dass 
          ich nicht Ins Heim wollte. Dort wollte ich nicht hin und möchte 
          auch nie hin. So landete ich durch eine Reihe von Zufällen und 
          das Kennenlernen von Elke Bartz schließlich beim Arbeitgebermodell, 
          das ich heute nicht mehr missen möchte," beschreibt Erika Michels 
          den weiteren Gang der Dinge. 
        
Der Kontakt zu Elke Bartz war bereits früher zustande gekommen, 
          als Erika Michels ein Problem mit der Krankenkasse hatte, da diese eine 
          Pflegeeinlage für ihr Bett nicht übernehmen wollte. Das Absurde 
          daran war, dass die Krankenkasse ihr zwar ein ganz neues Pflegebett 
          bezahlt hätte, die Finanzierung der Einlage für ihr Bett jedoch 
          verweigert hatte. "Dank der vorbildlichen Beratung von Frau Bartz ist 
          es mir immerhin gelungen, einen Zuschuss von der Krankenkasse zu bekommen. 
          Im Gespräch mit Elke Bartz hatte sich aber auch ergeben, dass ich 
          Angst hatte, in Zukunft im Heim zu landen. Sie hat mir damals Mut gemacht, 
          dass es Alternativen zum Heim gibt. Ich erinnerte mich an diese Worte 
          als das Thema für mich akut wurde und ich mich nicht mehr selbst 
          versorgen konnte und im Haushalt nicht mehr klar kam," so Erika Michels. 
        
        
Nach intensiver Beratung beantragte sie dann die Finanzierung des Arbeitgebermodells, 
          so dass sie schließlich sieben Stunden pro Tag bewilligt bekam. 
          Da diese Stundenzahl jedoch nicht ausreicht, hat Erika Michels sich 
          mittlerweile durch mehrere Instanzen der Gerichte gestritten. "Sie wollen 
          einfach nicht einsehen, dass ich mehr Hilfe brauche. Ich kann mir die 
          Hilfe auch nicht einfach in einzelne kleine Zeiteinheiten aufteilen, 
          weil meine Assistentinnen von weiter her kommen und ich in der näheren 
          Umgebung einfach niemand gefunden habe. Diese Strecken kann man nicht 
          mehrfach am Tag machen," beschreibt sie das Dilemma in dem sie steckt. 
          In den nicht abgedeckten Zeiten hilft ihr zur Zeit noch jemand, der 
          nicht belastbar ist, so dass dies keine befriedigende und langfristige 
          Lösung ist. Empört ist Erika Michels vor allem deshalb, weil 
          bei der letzten Verhandlung keine Zeugen zugelassen wurden und keine 
          Genehmigung für ein weiteres Gutachten erteilt wurde. 
        
Auch wenn die erste Assistentin nach drei Monaten kündigte, weil 
          es für die noch sehr junge Frau nach anfänglicher Euphorie 
          zu wenig Action gab - "sie wollte dauernd etwas unternehmen und unterwegs 
          sein"-, genießt Erika Michels die Vorzüge des Arbeitgebermodells. 
          "Ich muss mich heute nicht mehr so abquälen wie früher z.B. 
          beim An- und Ausziehen. Ich komme heute auch eher mal wohin, was ich 
          vorher nicht konnte. Und vieles würde ich allein einfach nicht 
          mehr schaffen," so Erika Michels. "Andererseits ist es für mich 
          aber auch eine große Umstellung, fremde Leute um mich zu haben 
          und sich gegenseitig anzupassen. Seit ich meine chronische Erkrankung 
          bekam, habe ich immer Rücksicht auf Andere genommen und jetzt soll 
          ich plötzlich Arbeitgeberin sein, da muss ich noch viel lernen." 
        
        
"Untätig rumsitzen ist mir ein Greuel"
        
Die vielseitigen Hobbys, wie die Computernutzung, Lesen, Handarbeiten, 
          Basteln, Nähen und an Diskussionsrunden teilnehmen, halten Erika 
          Michels in Trab. "Das Aktivsein ist mir im Blut, untätig rumsitzen 
          ist mir ein Greuel, deshalb käme ich mit der Situation in einem 
          Heim nie klar." So hat sie erst vor kurzem eine Diskussionsveranstaltung 
          organisiert, damit auch Andere erfahren, wie die Assistenz organisiert 
          werden kann. "Viele Leute bewundern, dass ich das mit meiner Assistenz 
          so mache und dadurch selbstbestimmt Leben kann, so dass ich bisher nur 
          positive Reaktionen erfahren habe. Ich fühle mich auch nicht wie 
          55 und bin immer darauf aus, mehr zu lernen, denn dabei bleibt man jung." 
          In ihrer Jugend wurde ihr ständig die Botschaft "Rücksicht 
          nehmen! Rücksicht nehmen!" eingebläut. "Man musste ständig 
          kuschen und durfte nicht auffallen," so dass sie sich heute dafür 
          einsetzt, dass andere behinderte Menschen besser leben können.
        
Bescheidene Wünsche
        
Nach ihren Wünschen für die Zukunft befragt, kommt die Bescheidenheit 
          von Erika Michels wieder voll zum Tragen. "Mir ist wichtig, dass der 
          jetzige Zustand so bleibt, und sich meine Gesundheit nicht verschlechtert. 
          Dass ich ein Auto habe, mit dem ich problemlos fahren kann und dass 
          es mit meinen Assistentinnen so bleibt wie es ist." Vor allem das Auto 
          ist ihr wichtig, denn in dem 700- Seelen- Dorf gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten 
          und ein Besuch bei Verwandten kann sie mit keinem Fahrdienst bewältigen. 
          Ein neues Auto, mit dem sie mit dem Rollstuhl hinters Steuer fahren 
          kann, wird ihr bisher verweigert, so dass es jedes Mal eine Tortur ist, 
          wenn sie mit ihrem alten Auto den Rollstuhl aus- und einladen lassen 
          muss. "Autofahren ist für mich kein Luxus, ich kann nun mal nicht 
          einfach den Bus nehmen, mit dem Fahrrad fahren oder in die Bahn hopsen 
          wie viele Andere," fasst sie ihren Ärger über diejenigen zusammen, 
          die ihr dieses Ansinnen erschweren. 
        
Bei den Wünschen noch mal nachgehakt, gibt Erika Michels schließlich 
          zu, dass sie schon mal gerne zu Günter Jauch in die Sendung "Wer 
          wird Millionär" gehen würde. "Wenn ich nicht so viel Angst 
          hätte, dann würde ich mich bewerben, denn beim Zusehen komme 
          ich immer sehr weit. Wie das bei der Nervosität in der Sendung 
          wäre, steht aber auf einem anderen Blatt, " gibt sie freimütig 
          zu. Schließlich wünscht sie sich noch, dass die Behinderten 
          einmal so integriert sein werden, wie es ihnen zusteht. "Behinderte 
          Menschen werden nicht so akzeptiert, wie es sein müsste. Es ist 
          noch so viel im Argen, dass wir dringend eine bessere Lobby brauchen." 
        
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