Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Urteil 084

S 56 SO 350/06

Sozialgericht Hamburg

Urteil

Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

...

- Klägerin ­

gegen

...

- Beklagter -

hat die Kammer 56 des Sozialgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2007 durch die Richterin Bieback sowie die ehrenamtlichen Richter Schumann und Falensky für Recht erkannt:

1.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 9.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2006 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit ihres Auslandspraktikums im Sommer 2005 Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der nachgewiesenen Kosten für Assistenzkräfte zu gewähren.

2.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

  Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für Assistenzkräfte, die ihr in der Zeit eines Auslandspraktikums vom 20.6.2005 bis 20.9.2005 entstanden sind.

Die 1979 geborene Klägerin ist schwerbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen. Sie erhält von der Beklagten neben Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) auch Leistungen der Hilfe zur Pflege gemäß § 65 SGB XII für eine 24-Stunden-Versorgung durch Assistenzkräfte. Die Assistenzkräfte sind bei der Klägerin als Arbeitnehmer eingestellt. Für die hierdurch entstehenden Kosten erhält die Klägerin von der Beklagten einen Vorschuss in Höhe von 5.000,- € monatlich. Zum Monatsende erfolgt dann eine konkrete Abrechnung, auf deren Grundlage die Klägerin zusätzliche Leistungen erhält.

Die Klägerin studierte Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für W. Am 5.2.2005 teilte sie der Beklagten mit, sie beabsichtige, im Sommer 2005 ein Praktikum in Madagaskar zu absolvieren, und beantragte die Übernahme der ihr in dieser Zeit entstehenden Kosten für Assistenzkräfte.

Mit Bescheid vom 9.2.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Leistungen könnten nur im Geltungsbereich SGB XII erbracht werden.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 9.3.2005 Widerspruch. Sie teilte mit, dass ein dreimonatiges Praktikum von Mitte Juni bis Mitte September 2005 beabsichtigt sei. Ziel des Praktikums sei einerseits, Auslandserfahrungen zu sammeln, was für Betriebswirtinnen unverzichtbar sei. Andererseits sei es für sie aus beruflichen Gründen auch wichtig, ihre Mobilität und Flexibilität unter Beweis zu stellen. Es gehe ihr besonders darum zu zeigen, dass sie trotz ihrer Angewiesenheit auf Rollstuhl und Assistenz auch unter erschwerten Bedingungen Leistungen in dem von ihr angestrebten beruflichen Umfeld erbringen kann. Das Praktikum sei erforderlich, um eine berufliche Qualifikation zu erlangen, die eine Unabhängigkeit von der Sozialhilfe ermöglicht. Eine Übernahme der Kosten für die notwendige Assistenz im Ausland sei auch vor dem Hintergrund des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) geboten. Ein Anspruch sei insbesondere nicht durch § 24 SGB XII ausgeschlossen. Diese Norm regele lediglich, dass Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen erhalten. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber auch während ihres Praktikums in Hamburg, lediglich der tatsächliche Aufenthalt werde vorübergehend ins Ausland verlegt. Diese Konstellation sei von § 24 SGB XII nicht erfasst.

Die Klägerin reichte außerdem ein Schreiben von Prof. Dr. B. von der Hochschule ein, in dem dieser ausführt, auf dem heutigen Arbeitsmarkt seien Praktika und Auslandserfahrung von großer Bedeutung und gerade in der Betriebswirtschaftslehre unerlässlich. Am 3.5.2005 übersandte die Klägerin der Beklagten eine Praktikumsbestätigung, aus der hervorging, dass sie ein dreimonatiges Praktikum beginnend am 20.6.2005 absolvieren werde.

Am 26.5.2005 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (Az: S 56 SO 232/05 ER). Zur Begründung führte sie aus, der Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege bestehe auch während des Auslandsaufenthaltes. Nach § 98 Abs. 1 SGB XII sei für die Sozialhilfe der Träger zuständig, in dessen Bereich sich der Berechtigte tatsächlich aufhalte. Diese örtliche Zuständigkeit bleibe auch bei einer kurzfristigen Abwesenheit des Hilfeempfängers bestehen. Die Zuständigkeit sei außerdem jeweils zu dem Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der geltend gemachte Bedarf entstanden ist, denn die Sozialhilfe diene der Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage. Eine einmal gegebene Zuständigkeit bestehe trotz Ortswechsels fort, wenn die Bedarfslage im Verantwortungsbereich des zunächst zuständigen Trägers entstanden und diesem zur Kenntnis gelangt ist und von ihm auch durch Erledigung des Hilfebedarfs hätte beseitigt werden können. Dies sei vorliegend der Fall, da die klar umrissene Pflegebedürftigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Abreise bereits vorliege und durch Ãœbernahme der bezifferten Kosten im Rahmen eines Vorschusses entsprechend der üblichen Bewilligungspraxis der Beklagten beseitigt werden könne. Die Ãœbernahme der erforderlichen Pflegekosten im Ausland sei auch durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geboten. Ferner bestehe eine sozialhilferechtliche Notwendigkeit für den Auslandsaufenthalt, da die Klägerin sich nur durch diesen soweit beruflich qualifizieren könne, dass eine Unabhängigkeit von der Sozialhilfe erreichbar ist. Die Klägerin reichte am 6.6.2005 außerdem einen Kostenvoranschlag des Centre Social et de Services d´Aides aux personnes en difficultees aus A., Madagaskar, vom 31.5.2005 ein, in dem die Kosten für die Bereitstellung von Assistenzkräften während des Praktikums mit umgerechnet ca. 15.000 € beziffert wurden.

Das Sozialgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 6.6.2005 ab. Es fehle an der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten. Für die Leistungen der Hilfe zur Pflege sei gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII der Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Berechtigte tatsächlich aufhält. In dem Zeitraum, für den sie Leistungen beansprucht, halte sich die Klägerin nicht in Hamburg, sondern in Madagaskar auf. Die Sozialhilfepraxis, nach der eine kurzfristige Abwesenheit von regelmäßig bis zu einem Monat die Zuständigkeit unberührt lasse, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da die Klägerin eine Abwesenheit von drei Monaten plane. Der geltend gemachte Bedarf sei auch nicht bereits vor der Abreise der Klägerin entstanden, da er erst durch den Aufenthalt im Ausland entstehe. Die Rechnung für die Pflegekräfte im Ausland sei nicht schon vor Reiseantritt fällig. Der Bedarf entstehe daher erst im Ausland.

Hiergegen legte die Klägerin Beschwerde zum Landessozialgericht ein. Im Beschwerdeverfahren reichte sie eine Rechnung des Centre Social et de Services d´Aides aux personnes en difficultees vom 9.6.2006 ein, mit der dieses für die Bereitstellung von Assistenzkräften während des Praktikums einen Betrag von umgerechnet 14.997,25 € in Rechnung stellte, die vorab zu zahlen seien. Mit Beschluss vom 15.6.2007 (Az: L 4 B 154/05 ER SO) wies das Landessozialgericht die Beschwerde zurück. Das SGB XII folge dem Territorialitätsprinzip. Der Regelung in § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei zu entnehmen, dass bei fehlender örtlicher Zuständigkeit eines Trägers der Sozialhilfe infolge Auslandsaufenthaltes gleichzeitig ein entsprechender Leistungsanspruch zu verneinen sei. Vorliegend entstehe der Bedarf erst im Ausland. Darauf, dass die Klägerin bereits von Hamburg aus Verträge mit Assistenzkräften in Madagaskar geschlossen hat, komme es nicht an, da sie Zahlungen erst leisten müsse, wenn sie sich im Ausland befinde und dort die Hilfe tatsächlich in Anspruch nimmt. Ein Verstoß gegen Grundrechte sei nicht zu erkennen. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das Verbot einer Benachteiligung wegen Behinderung, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, vor. Denn auch für nicht behinderte Studenten dürfte ein Auslandspraktikum wegen der damit regelmäßig verbundenen erheblichen Kosten oftmals ausscheiden.

Die gegen den Beschluss des Landessozialgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an (Beschluss vom 29.6.2005, Az: 1 BvR 1279/05).

Die Klägerin trat am 20.6.2005 ihr Praktikum in Madagaskar an, das bis zum 20.9.2005 dauerte. Während dieses Zeitraums erhielt die Klägerin Assistenzleistungen durch das Centre Social et de Services d´Aides aux Personnes en Difficultes. Hierfür wurden ihr wöchentlich umgerechnet 1250 € in Rechnung gestellt, die die Klägerin jeweils bar bezahlte. Insgesamt beliefen sich die Zahlungen auf 16.250 €.

Mit Bescheid vom 8.7.2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 SGB XII für den Zeitraum ab 1.7.2005 ab, mit der Begründung, Grundsicherungsleistungen seien nur Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland zu gewähren. Auf den Widerspruch der Klägerin hin übernahm die Beklagte für die Dauer des Auslandspraktikums die Mietkosten für ihre Wohnung in Hamburg, wies den Widerspruch im Übrigen aber zurück. Im darauf folgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (Az.: S 56 SO 279/07) erkannte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung den Anspruch der Klägerin auf volle Grundsicherungsleistungen während des Auslandspraktikums an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.7.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 9.2.2005 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen für Assistenzkräfte während ihres Praktikums, da es infolge ihres dreimonatigen Auslandsaufenthaltes an der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten fehle.

Am 4.8.2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, das Praktikum stehe in einem engen Bezug zu ihrem Studium, sodass ein örtlicher Bezug zu Hamburg vorliege. Die Zuständigkeitsregelung in § 98 SGB XII diene nur der Klarstellung, welcher von mehreren in Betracht kommenden Sozialhilfeträgern im jeweiligen Fall zuständig sei. Bestehe materiell-rechtlich ein Leistungsanspruch, so könne dieser nicht über die Zuständigkeitsregelung beseitigt werden. § 23 Eingliederungshilfeverordnung ermögliche es, unter bestimmten Voraussetzungen Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auch im Ausland zu erbringen. Diese Vorschrift mache deutlich, dass das Territorialitätsprinzip keine absolute Geltung habe. Auch in diesen Fällen bleibe die Zuständigkeit des bisher örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers bestehen. Dieses Prinzip sei auf die Hilfe zur Pflege zu übertragen. Zu berücksichtigen sei auch, dass vorliegend durch den Auslandsaufenthalt keine Mehrkosten entstanden seien. Im Gegenteil seien die Kosten für die Assistenz im Ausland sogar geringer gewesen als diejenigen, die im Inland angefallen wären. Denn hier erhalte die Klägerin monatlich einen Vorschuss von 5000,- €, nach der konkreten Abrechnung erhöhe sich dieser Betrag aber durchschnittlich um etwa weitere 2500,- € pro Monat. Schließlich verstoße eine Verweigerung der Hilfeleistungen während des Auslandsaufenthaltes gegen das grundgesetzliche Verbot einer Benachteiligung wegen der Behinderung.

Die Klägerin hat weiter mitgeteilt, die Kosten für die Assistenzkräfte während des Praktikums habe sie mit Geld finanziert, dass sie von ihrer Tante als Darlehen erhalten habe. Es sei abgesprochen, dass sie der Tante bei Erfolg der Klage das Geld zurückzahle. Eine Vergütung für das Praktikum habe sie nicht erhalten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2006 zu verpflichten, ihr für die Zeit ihres Auslandspraktikums im Sommer 2005 Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der nachgewiesenen Kosten der Assistenzkräfte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sie sich auf den Widerspruchsbescheid vom 3.7.2006. Sie reichte außerdem Bescheide über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege und beispielhafte Computerausdrucke der Abrechnung der konkreten Kosten der Assistenzkräfte am Monatsende ein. Daraus ist erkennbar, dass im Monat Juli 2007 Kosten für Assistenzkräfte in Höhe von insgesamt 6430,90 € anfielen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte des Eilverfahrens zum Aktenzeichen S 56 SO 232/05 ER (L 4 B 154/05 ER SO) beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Kosten, die ihr für Assistenzkräfte während ihres Praktikums in Madagaskar in der Zeit vom 20.6.2005 bis zum 20.9.2005 entstanden sind.

1.

Für die Gewährung von Hilfe zur Pflege während des Aufenthaltes der Klägerin in Madagaskar ist die Beklagte örtlich zuständig und deshalb passiv legitimiert. Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist für Leistungen der Sozialhilfe örtlich zuständig derjenige Träger, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Die Klägerin hat sich vor ihrem Praktikum in Madagaskar im Bereich der Beklagten aufgehalten. Die dadurch begründete Zuständigkeit der Beklagten ist durch den Auslandsaufenthalt und die damit einhergehende Unterbrechung des tatsächlichen Aufenthaltes im Bereich der Beklagten nicht entfallen.

In der Rechtsprechung und der Literatur zum Sozialhilferecht ist anerkannt, dass eine durch den tatsächlichen Aufenthalt eines Hilfeempfängers begründete örtliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers nicht schon bei jeder vorübergehenden Ortsabwesenheit des Hilfeempfängers endet, sondern jedenfalls bei kürzeren Abwesenheitszeiten von bis zu einem Monat die Zuständigkeit fortbesteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1998, Az.: 5 C 21/97, DVBl. 1999, 1119; Urteil vom 5.3.1998, Az.: 5 C 12/97, DVBl. 1998, 1132; Urteil vom 17.11.1994, Az.: 5 C 13/92, BVerwGE 97, 103; Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage 2006, § 98 Rn. 13; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 98 Rn. 29; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rn. 14). Dieser Rechtsprechung lässt sich der Grundsatz entnehmen, dass dann, wenn trotz fehlender Anwesenheit im Bereich des bisher zuständigen Trägers ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen fortbesteht und keine neue örtliche Zuständigkeit eines anderen Sozialhilfeträgers begründet wird, die bisherige örtliche Zuständigkeit bestehen bleibt. Auch wenn sich die Klägerin länger als in den anerkannten Fällen nicht tatsächlich im Bereich der Beklagten aufgehalten hat, lässt sich dieser Gedanke auf die vorliegende Konstellation übertragen. In der Konsequenz kommt allein die Beklagte als leistungspflichtig in Betracht: Wenn die Klägerin einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrten Sozialhilfeleistungen hat, so besteht hierfür die Zuständigkeit der Beklagten fort.

In der Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wird das Fortbestehen der Zuständigkeit des bisher zuständigen Sozialhilfeträgers ferner davon abhängig gemacht, dass es sich um einen Bedarf handelt, der bereits während des tatsächlichen Aufenthaltes im Bereich dieses Träger entstanden und gegenwärtig ist und von dem Träger auch hätte beseitigt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1998, Az.: 5 C 21/97, DVBl. 1999, 1119; Urteil vom 5.3.1998, Az.: 5 C 12/97, DVBl. 1998, 1132; Urteil vom 17.11.1994, Az.: 5 C 13/92, BVerwGE 97, 103). Diese Voraussetzungen hat das BVerwG in dem seinem Urteil vom 17.11.1994 (aaO) zugrunde liegenden Fall für gegeben angesehen. Dort hatte der Kläger die Kosten für Pflegeleistungen während eines Urlaubs im Ausland einige Wochen vor Reiseantritt beantragt. Das BVerwG hat befunden, der Bedarf sei bei Antragstellung bereits gegenwärtig gewesen, da der Kläger zuvor eine Rechnung des Reiseunternehmens über die vertraglich vereinbarten Pflegekosten erhalten hatte und zur Zahlung aufgefordert worden war. Hingegen hatte in dem Fall, der dem Urteil des BVerwG vom 22.12.1998 (aaO) zugrunde lag, der Kläger den bisher zuständigen Sozialhilfeträger erst von seinem Auslandsaufenthalt und dem damit zusammenhängenden Pflegebedarf informiert, als er sich bereits seit ca. einem Monat im Ausland befand. Hier ist das BVerwG nicht von einem bereits vor Reiseantritt gegenwärtigen Bedarf ausgegangen. Der Kostenbedarf sei nicht infolge einer fälligen, vor Reiseantritt zu begleichenden Rechnung, sondern erst während der Reise und somit nicht im Zuständigkeitsbereich des Beklagten entstanden (anders noch vorinstanzlich der VGH München, Urteil vom 2.6.1997, Az.: 12 B 93.2676, der darauf abstellte, dass der Erholungsbedarf des Klägers bereits vor Reiseantritt bestanden habe).

Vorliegend war der Bedarf der Klägerin bezüglich der Kosten für ihre Assistenzkräfte im Ausland bereits vor Antritt des Praktikums gegenwärtig und hätte von der Beklagten auch beseitigt werden können. Die Klägerin hatte die Beklagte bereits im Februar 2005 von dem beabsichtigten Praktikum in Kenntnis gesetzt, am 3.5.2005 hatte sie eine Bestätigung eingereicht, aus der sich Beginn und Dauer des Praktikums ergaben. Der Umfang der benötigten Pflegeleistungen war ebenfalls bekannt, da es sich um den gleichen pflegerischen Bedarf handelte, den die Klägerin laufend benötigt. Die Klägerin ist so schwer behindert, dass sie rund um die Uhr Assistenz braucht, diesbezüglich ergaben sich keine wesentlichen Änderungen infolge des Auslandaufenthaltes. Auch die Kosten, die für die Pflegeleistungen durch Assistenzkräfte in Madagaskar entstehen würden, waren jedenfalls der Größenordnung nach bekannt, seitdem die Klägerin den Kostenvoranschlag vom 31.5.2005 am 6.6.2005 im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens eingereicht hatte und diesen sodann durch die Rechnung vom 9.6.2005, die der Beklagten am 14.6.2005 übersandt wurde, konkretisierte.

Dass die mit dem Kostenvoranschlag und der Rechnung geltend gemachten Kosten unter den letztendlich tatsächlich entstandenen Kosten lagen (14.997,25 € im Vergleich zu 16.250,- €), ist dabei nicht erheblich. Denn jedenfalls waren der grundsätzliche Bedarf der Klägerin und dessen ungefähre Höhe bekannt. Die Abweichung ist auch nicht so erheblich, dass eine andere Größenordnung des Bedarfs erreicht würde. Es handelt sich somit insgesamt nicht um einen Hilfebedarf, der unvorhergesehen erst im Ausland entstanden ist. Im Ãœbrigen stehen auch die Kosten für die von der Klägerin im Inland beschäftigten Assistenzkräfte im vorhinein nicht genau fest. Dem trägt die Beklagte dadurch Rechnung, dass sie zunächst einen Vorschuss bewilligt und am Monatsende eine genaue Abrechnung erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, was gegen eine entsprechende Handhabung der im Ausland entstehenden Kosten spricht. Insofern wäre es der Beklagten auch möglich gewesen, den Hilfebedarf der Klägerin durch entsprechendes Vorgehen zu beseitigen.

Unschädlich ist ferner, dass die Klägerin die Leistungen trotz der Rechnung vom 9.6.2005, mit der eine Vorauszahlung gefordert wurde, tatsächlich nicht vor Reiseantritt, sondern erst in Madagaskar und dort jeweils wöchentlich gezahlt hat. Zur Annahme eines bereits im Inland gegenwärtigen Bedarfs genügt es, dass die vereinbarten Leistungen bereits vor der Abreise – vorläufig – berechnet worden waren und die Klägerin zur Zahlung aufgefordert worden war. Ist damit ein entsprechender Bedarf bereits vor der Abreise entstanden, kann ein Leistungsanspruch nicht davon abhängen, wann die Rechnung beglichen wurde. Denn ob der Hilfebedürftige in der Lage ist, die Rechnung vorab zu bezahlen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Sozialhilfeträger die entsprechenden Leistungen rechtzeitig bewilligt. Wäre trotzdem auf den Zeitpunkt der Zahlung abzustellen, so könnte eine verspätete Bewilligung bereits als solche zur Vernichtung des Anspruchs führen.

2.

Der Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten, die ihr für die Assistenzkräfte in Madagaskar entstanden sind, folgt aus §§ 63, 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Danach werden bei Pflegebedürftigkeit im Rahmen der häuslichen Pflege die angemessenen Kosten für die Heranziehung besonderer Pflegekräfte übernommen. Dass die Klägerin grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dieser Vorschrift erfüllt, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Die Klägerin hat vor ihrem Auslandspraktikum entsprechenden Leistungen erhalten und erhält diese seit ihrer Rückkehr auch wieder. Entscheidungserheblich ist daher allein die Frage, ob der Leistungsanspruch auch für die Zeit des Auslandspraktikums besteht. Dies ist nach Überzeugung des Gerichts der Fall. Der Anspruch ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin sich im Ausland befunden hat.

a.

 Das SGB XII enthält für die Leistungen der Hilfe zur Pflege – anders als für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, für die § 41 Abs. 1 SGB XII ausdrücklich auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abstellt – keine ausdrückliche Regelung über den örtlichen Geltungsbereich. Daher ist § 30 Abs. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) einschlägig. Nach dieser Norm, die grundsätzlich für alle Leistungsbereiche des SGB Anwendung findet, gelten die Vorschriften des SGB für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin. Denn sie hat für den Zeitraum des Auslandspraktikums lediglich ihren tatsächlichen, nicht aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg aufgegeben. Gemäß § 30 Abs. 3 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dies ist dann der Fall, wenn der jeweilige Ort nicht nur vorübergehend zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person wird, was wiederum eine gewisse Verfestigung der Lebensverhältnisse an diesem Ort, insbesondere in familiärer, sozialer und beruflicher Hinsicht voraussetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.8.1995, Az.: 5 C 11/94, BVerwGE 99, 158; VGH München, Urteil vom 25.1.2001, Az.: 12 B 99.512, FEVS 52, 373).

Nach diesen Maßstäben war Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes der Klägerin im Jahr 2005 Hamburg, denn hier hatte sie ihren Lebensmittelpunkt. Sie studierte an einer Hochschule in Hamburg, hatte dort eine Wohnung und soziale Beziehungen. An ihrem Willen, in Hamburg zu verbleiben, bestehen keine Zweifel. Durch ihr Praktikum in Madagaskar hat die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg auch nicht aufgegeben. Sie hatte nicht die Absicht, sich auf Dauer oder zumindest auf unabsehbare Zeit in Madagaskar aufzuhalten. Der Auslandsaufenthalt war im Gegenteil von Anfang an nur für eine vorübergehende Zeit geplant, es stand stets fest, dass und wann die Klägerin zurückkehren würde. Insbesondere hat die Klägerin auch während ihres Auslandspraktikums ihre Hamburger Wohnung beibehalten und beabsichtigte sie, nach ihrer Rückkehr ihr Studium an der Hochschule fortzuführen. Schließlich war ihr Aufenthalt in Madagaskar mit drei Monaten auch nur von relativ kurzer Dauer, sodass von einer wirklichen Verlagerung des Lebensmittelpunktes im Sinne einer Verfestigung der Lebensverhältnisse im Ausland nicht ausgegangen werden kann. Ein derartiger Auslandsaufenthalt, der von vorneherein durch einen Rückkehrwillen gekennzeichnet ist, führt nicht zu einer Aufgabe des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.1996, Az.: RKg 29/95, BSGE 79, 147; VGH München, Urteil vom 25.1.2001, Az.: 12 B 99.512, FEVS 52, 373; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.2.1996, Az.: 8 A 2866/93, ZfS 1996, 372; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rn. 3).

b.

§ 30 Abs. 1 SGB I ist jedoch aufgrund des Vorbehalts in § 37 SGB I im Bereich des Sozialhilferechts nur anwendbar, soweit sich aus dem SGB XII nichts Abweichendes ergibt. Nach Überzeugung des Gerichts lässt sich dem SGB XII jedenfalls unter Berücksichtigung aller Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls nicht entnehmen, dass für einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Hilfe zur Pflege über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hinaus auch ein tatsächlicher Aufenthalt im Inland erforderlich wäre.

aa.

Ein Erfordernis eines tatsächlichen Aufenthaltes im Inland ergibt sich zunächst nicht aus § 24 SGB XII. Diese Vorschrift bestimmt, dass Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, nur in Ausnahmefällen Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Damit enthält § 24 SGB XII einerseits einen Leistungsausschluss. Dieser bezieht sich aber nur auf Personen ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und geht damit nicht über das hinaus, was sich auch aus § 30 Abs. 1 SGB I ergibt. Andererseits enthält § 24 SGB XII eine Ausdehnung des durch § 30 Abs. 1 SGB I gekennzeichneten Anwendungsbereichs, indem in bestimmten Ausnahmefällen Leistungen auch bei Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland gewährt werden können. Im Ergebnis stellt § 24 SGB XII keine strengeren Anforderungen an den Aufenthalt im Inland als § 30 Abs. 1 SGB I, sondern dehnt den Anwendungsbereich des Sozialhilferechts gegenüber der allgemeinen Regelung sogar aus.

bb.

Auch der Vorschrift über die örtlichen Zuständigkeit in § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII lässt sich nicht entnehmen, dass ein Leistungsanspruch nur bei tatsächlichem Aufenthalt im Inland besteht. Zwar hat das BVerwG in seinem Urteil vom 22.12.1998 (Az.: 5 C 21/97) aus der Tatsache, dass bei Auslandsreisen, die den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland unberührt lassen, ein zuständiger Sozialhilfeträger fehlt, gefolgert, dass dem Hilfebedürftigen in diesen Fällen eine sozialhilferechtliche Versorgung für einen Bedarf, der nicht schon vor der Abreise gegenwärtig war sondern erst im Ausland entsteht, nicht zusteht. Dem kann jedoch – unter ausdrücklicher Aufgabe der vom erkennenden Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertretenen Auffassung – nicht gefolgt werden. Dies ergibt sich daraus, dass § 98 SGB XII nur Fragen der örtlichen Zuständigkeit regelt und als Zuständigkeitsvorschrift keine Entscheidung über das Bestehen materiell-rechtlicher Ansprüche treffen will (ebenso OVG Hamburg, Urteil vom 4.7.1991, Az.: Bf IV 45/90, DÖV 1993, S. 39). § 98 SGB XII bestimmt lediglich, welcher von mehreren theoretisch in Betracht kommenden Sozialhilfeträgern für die jeweilige Leistung zuständig ist. Unter welchen Voraussetzungen ein Leistungsanspruch besteht, ist der Vorschrift hingegen nicht zu entnehmen. Es ist auch nicht Sinn und Zweck von Zuständigkeitsvorschriften, zusätzliche materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen aufzustellen. Im Übrigen erscheint es auch inkonsequent, § 98 SGB XII im Fall eines längeren Auslandsaufenthaltes eine anspruchsausschließende Wirkung zuzusprechen, bei kürzerer Abwesenheit der dem Wortlaut nach gleichfalls fehlenden Zuständigkeit hingegen keine Bedeutung beizumessen.

Letztendlich scheidet vorliegend ein Anspruch der Klägerin aber selbst dann nicht aus, wenn man mit dem BVerwG davon ausgeht, dass bei Fehlen eines örtlich zuständigen Leistungsträgers auch ein materiell-rechtlicher Anspruch entfällt. Denn wie oben ausgeführt handelt es sich vorliegend nicht um einen Bedarf, der erst im Ausland entstanden ist. Vielmehr ist von einem bereits vor der Abreise nach Madagaskar gegenwärtigen Bedarf auszugehen, für den eine Zuständigkeit der Beklagten besteht. Schon deshalb kann ein Anspruch der Klägerin nicht an einer fehlenden Zuständigkeit der Beklagten scheitern.

cc.

Ein tatsächlicher Aufenthalt im Inland als Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege lässt sich auch nicht im Wege eines Umkehrschlusses aus § 41 Abs. 1 SGB XII begründen. Aus der Tatsache, dass § 41 Abs. 1 SGB XII einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland zur Voraussetzung eines Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erklärt, ist nicht zu folgern, dass für die übrigen Leistungen des SGB XII der gewöhnliche Aufenthalt im Inland nicht genügt und ein tatsächlicher Aufenthalt erforderlich ist. Denn die Erwähnung des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 41 Abs. 1 SGB XII lässt sich auch auf andere Weise begründen. So hat sie insbesondere zur Folge, dass Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, die die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB XII erfüllen und deshalb einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben, dennoch von den Leistungen der Grundsicherung ausgenommen sind (vgl. Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII § 41 Rn. 29; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rn. 3).

dd.

Ebenso wenig lässt sich eine Beschränkung des Leistungsanspruchs auf Personen mit tatsächlichem Aufenthalt im Inland aus dem so genannten Territorialitätsprinzip ableiten. Das Territorialitätsprinzip hat seinen Ausgangspunkt in der Tatsache, dass die hoheitliche Wirkungsmöglichkeit eines Staates an seinen Grenzen endet und er infolgedessen keine hoheitliche Betätigung im Ausland vornehmen kann. Daraus folgt jedoch nicht, dass Geldleistungen in das Ausland nicht zu gewähren sind, wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich anordnet. Zur Begründung einer entsprechenden Ansicht kann das Territorialitätsprinzip daher nicht herangezogen werden (so für Leistungen der Rentenversicherung ausdrücklich BSG, Großer Senat, Beschluss vom 21.12.1971, Az.: GS 6/71, BSGE 33, 280).

Sofern das Territorialitätsprinzip über die Beschränkung der Hoheitsgewalt des Staates auf sein Gebiet hinaus dahin gehend verstanden wird, dass das inländische Recht nur Geltung entfalten kann für Sachverhalte mit einem territorialen Anknüpfungspunkt im Inland (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 4.7.1991, Az.: Bf IV 45/90, DÖV 1993, S. 39), folgt hieraus nicht, dass dieser territoriale Anknüpfungspunkt unbedingt im tatsächlichen Aufenthalt im Inland liegen muss. Vielmehr kann auch der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt im Inland als Anknüpfungspunkt herangezogen werden (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 4.7.1991, Az.: Bf IV 45/90, DÖV 1993, S. 39). Genau hierfür hat sich der Gesetzgeber des Sozialgesetzbuchs mit der Regelung in § 30 Abs. 1 SGB I entschieden. Das Territorialitätsprinzip kann für das SGB aber nur in der Ausformung allgemeine Geltung beanspruchen, die es in dieser Norm gefunden hat (vgl. dazu, dass das Territorialitätsprinzip in § 30 Abs. 1 SGB I seine Ausformung für das Sozialrecht gefunden hat, Hauck/Noftz, SGB I, § 30 Rn. 2).

ee.

Schließlich scheitert ein Anspruch der Klägerin auch nicht an einem Strukturprinzip der Sozialhilfe, das Leistungen infolge des tatsächlichen Aufenthaltes im Ausland ausschließt. Zwar hat das OVG Hamburg in seinem Urteil vom 4.7.1991 (Az.: Bf IV 45/90, DÖV 1993, S. 39) – noch unter Geltung des BSHG – ausgeführt, zu den Strukturprinzipen des Sozialrechts zähle der Grundsatz, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe einen tatsächlichen Aufenthalt im Inland voraussetzt. Begründet wird dieser Grundsatz mit dem Charakter der Sozialhilfe als Hilfe in einer gegenwärtigen konkreten Notlage genannt. Dies verlange nach einer engen räumlichen Verbindung zwischen Hilfeempfänger und Leistungsträger. Da Sozialhilfe keine rentengleiche Dauerleistung sei, müsse gleichsam täglich beurteilt werden, welche Hilfe jeweils notwendig ist. Diese Prüfungen könnten während eines Auslandsaufenthaltes nicht durchgeführt werden. Außerdem müsse ständig der Nachrang der Sozialhilfe gewahrt bleiben. Die Kontrolle vorrangiger Hilfemöglichkeiten erfordere ebenso wie die Ermittlung des Bedarfs einen engen Kontakt zum Hilfesuchenden.

Das Gericht hat jedoch Zweifel, ob ein allgemeiner Grundsatz dahin gehend, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe einen tatsächlichen Aufenthalt im Inland voraussetzt, dem SGB XII tatsächlich entnommen werden kann. Der Gesetzgeber hat in anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs einen tatsächlichen Aufenthalt im Inland durchaus ausdrücklich zur Anspruchsvoraussetzung erhoben, so z.B. in § 6 Abs. 1 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) oder in § 23 Abs. 1 SGB XII bezüglich der Gewährung von Sozialhilfe an Ausländer. Wenn Sozialhilfeleistungen allgemein auf Personen mit tatsächlichem Aufenthalt im Inland hätten beschränkt werden sollen, so hätte es nahe gelegen, dies jedenfalls mit der Neuregelung des Sozialhilferechts durch die Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 auch ausdrücklich festzuschreiben. Ferner zeigt auch die Regelung in § 23 der Eingliederungshilfeverordnung, wonach Maßnahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen unter bestimmten Voraussetzungen auch im Ausland durchgeführt werden können, dass Leistungen nach dem SGB XII – hier der Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII – nicht auf das Inland beschränkt sind.

Aber selbst wenn ein derartiger Grundsatz des Sozialhilferechts anzunehmen wäre, so könnte er jedenfalls im Fall der Klägerin keine Geltung beanspruchen. Dass ein solcher Grundsatz nicht ohne Ausnahmen gelten kann, ergibt sich aus der oben erwähnten Praxis und Rechtsprechung der Sozialhilfe, wonach kurzfristige Aufenthalte im Ausland den Leistungsanspruch nicht entfallen lassen. Ein ausnahmslos geltender Grundsatz hätte hingegen zur Folge, dass ein Leistungsanspruch bei jeder auch noch so kurzfristigen Abwesenheit des Hilfeempfängers entfallen würde. Nicht einleuchtend ist ferner, warum Ausnahmen von der Forderung nach einem tatsächlichen Aufenthalt im Inland unabhängig von den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls gerade an eine zeitliche Grenze von bis zu einem Monat geknüpft werden sollten. Allein der Umstand, dass der Bewilligungszeitraum von Sozialhilfeleistungen in der Regel einen Monat umfasst, und somit dies als der Zeitraum angesehen wird, in dem grundsätzlich kein Bedürfnis nach einer Überprüfung und ggf. Neuregelung des Falles zu erwarten ist, rechtfertigt dies nicht. Denn je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine Überprüfbarkeit auch für längere Zeiträume verzichtbar sein.

Insbesondere greift das Argument des OVG Hamburg, das Bedürfnis nach einer quasi täglichen Überprüfung des Leistungsanspruchs mache einen Aufenthalt im Inland erforderlich, in Konstellationen wie der vorliegenden nicht. Trotz der Konzeption der Sozialhilfe als Hilfe in einer gegenwärtigen konkreten Notlage kann diese im Einzelfall durchaus den Charakter einer Dauerleistung annehmen. Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die eine Leistung der Sozialhilfe ist (§ 8 SGB XII), hat der Gesetzgeber dies auch anerkannt und dementsprechend in § 44 Abs. 1 SGB XII bestimmt, dass die Grundsicherungsleistung in der Regel für zwölf Kalendermonate bewilligt wird. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass bei dem leistungsberechtigten Personenkreis gewöhnlich keine bedeutsamen Änderungen der Verhältnisse zu erwarten sind (vgl. die Begründung zu dem Entwurf zu der zunächst beabsichtigten Aufnahme einer Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in das BSHG, BT-Drs. 14/4595, S. 71). Zugleich kommt darin aber zum Ausdruck, dass die Grundsicherung eine auf Dauer angelegte Sozialleistung ist (vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 44 Rn. 1).

Das Bedürfnis nach einer gleichsam täglichen Beurteilung des Hilfebedarfs kann aber auch bei anderen Leistungen als der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung entfallen. So steht im vorliegenden Fall der Bedarf der Klägerin an pflegerischer Leistung weitgehend fest und sind diesbezügliche Änderungen kaum zu erwarten. Die Klägerin ist seit langem auf den Rollstuhl angewiesen und bedarf rund um die Uhr der Unterstützung. Es ist nicht absehbar, dass sich hieran etwas ändern wird. Jedenfalls in derartigen Fällen, in denen eine Pflege erkennbar für einen nicht absehbaren Zeitraum erforderlich ist und auch wesentliche Änderungen bezüglich des Umfangs der Pflege nicht zu erwarten sind, ist auch die Hilfe zur Pflege faktisch eine Dauerleistung. Folglich hätte es nahe gelegen, diese Leistungsart in Parallele zu den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung, die in der Regel zeitlich unbegrenzt bewilligt werden, auch rechtlich für den Regelfall als Dauerleistung auszugestalten (vgl. Conradis, in: Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil III, Kap. 23, Rn. 23). Dies ist zwar nicht geschehen, dennoch bleibt es dabei, dass es sich vorliegend jedenfalls faktisch um eine Dauerleistung handelt.

Auch das Argument, zur Wahrung des Nachrangs der Sozialhilfe müsse eine ständige Überprüfung auf vorrangige Hilfsmöglichkeiten ermöglicht werden, greift letztlich nicht durch. Denn diese Notwendigkeit bestünde auch bei Leistungsberechtigten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und hat dort den Gesetzgeber nicht veranlasst, einen tatsächlichen Aufenthalt zum Zweck der Kontrollmöglichkeit als Leistungsvoraussetzung zu verlangen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Gewährung staatlicher Leistungen durch eine effektive Möglichkeit der Kontrolle des (Fort-)Bestehens der Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs begleitet sein muss. Dies wird jedoch in Fällen wie dem vorliegenden gewahrt: Der Bedarf der Klägerin stand fest, Änderungen während des Auslandsaufenthaltes waren realistisch nicht zu erwarten. Ebenso wenig war zu erwarten, dass sich die Verhältnisse der Klägerin bezüglich vorrangiger Hilfsmöglichkeiten in dem überschaubaren und von vornherein begrenzten Zeitraum des Praktikums ändern würden.

c.

Lässt sich dem SGB XII daher für die hier zu beurteilende Konstellation nicht entnehmen, dass ein tatsächlicher Aufenthalt im Inland Voraussetzung eines Leistungsanspruchs ist, so bleibt es bei der Regelung des § 30 Abs. 1 SGB XII. Der gewöhnliche Aufenthalt im Inland genügt daher, um einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Hilfe zur Pflege auch während ihres Auslandspraktikums zu bejahen.

3.

  Das Gericht hat im Ãœbrigen auch Bedenken, ob ein Ausschluss des Anspruchs auf Leistungen der Hilfe zur Pflege allein aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin im Ausland mit dem grundgesetzlichen Verbot einer Benachteiligung wegen Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) vereinbar wäre. Dabei ist eine behinderungsbedingte Benachteiligung der Klägerin infolge der Versagung von Leistungen während des Auslandspraktikums nicht schon deshalb zu verneinen, weil sich auch andere Studierende – aus unterschiedlichen Gründen – ein Auslandspraktikum nicht leisten können. Denn vorliegend geht es nicht um die allgemeinen Mehrkosten, die mit einem Auslandspraktikum üblicherweise verbunden sind (doppelte Miete, Reisekosten u.ä.), sondern allein um Kosten, die der Klägerin gerade wegen ihrer Behinderung und der dadurch notwendigen Unterstützung durch Assistenzkräfte entstehen. Dementsprechend stehen nicht Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Frage, sondern Leistungen der Hilfe zur Pflege, die nur aufgrund der Behinderung der Klägerin erforderlich werden. Vor diesem Hintergrund ist das geltende Recht so auszulegen, dass ungerechtfertigte Benachteiligungen der Klägerin wegen ihrer Angewiesenheit auf diese Leistungen und damit wegen ihrer Behinderung ausgeschlossen werden. Wären behinderungsbedingte Leistungen der Hilfe zur Pflege stets nur bei tatsächlichem Aufenthalt im Inland zu gewähren, würde dies letztlich bedeuten, dass Menschen, die allein aufgrund ihrer Behinderung auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, nie ins Ausland reisen können, ohne ihren Anspruch auf Bedarfsdeckung zu verlieren. Hierin läge eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Menschen.

4.

Inhalt und Umfang des Anspruchs der Klägerin beurteilt sich nach § 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII und § 9 Abs. 2 SGB XII. § 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII verpflichtet zur Übernahme der angemessenen Kosten einer Pflegekraft. § 9 Abs. 2 SGB XII bestimmt, dass Wünschen des Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind. Dabei soll der Sozialhilfeträger Wünschen in der Regel nicht nachkommen, wenn deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre.

Der Auslandsaufenthalt hat zu keinen höheren Kosten für die Hilfe zur Pflege geführt, als sie entstanden wären, wenn die Klägerin in Deutschland geblieben wäre. Die Gesamtkosten für die Assistenzleistungen während des Praktikums beliefen sich auf 16.250,- €, d.h. 5416,67 € monatlich. Dieser Betrag ist sogar niedriger als der, der für die Pflegekräfte im Inland in der Regel aufgewendet wird. Aus der von der Beklagten als Beispiel eingereichten Abrechnung der Kosten für Assistenzkräfte ergibt sich, dass diese im Monat Juli 2007 insgesamt 6430,90 € betragen haben. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin entstanden regelmäßig sogar Kosten für Assistenzkräfte in Höhe von insgesamt monatlich 7500,- €. Schon deshalb sind die von der Klägerin geltend gemachten Kosten angemessen sowohl im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 2 XII als auch des § 9 Abs. 2 SGB XII. Darauf, dass das Auslandspraktikum von der Studienordnung nicht vorgeschrieben und damit nicht zwingend erforderlich für den von der Klägerin erstrebten Abschluss war, kommt es deshalb nicht an.

5.

Dem Anspruch steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin die Kosten bereits aufgebracht hat. Sie hat dies mit Mitteln getan, die ihr von ihrer Tante zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Zwar entfällt ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen infolge des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe, wenn der Hilfebedürftige die erforderliche Hilfe von anderen erhält. Anspruchsvernichtend ist die Hilfe Dritter dann, wenn sie endgültig, d.h. als verlorener Zuschuss (Schenkung) gewährt wird. Hingegen kann die Bedarfsdeckung durch Leistungen Dritter dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung unter dem Vorbehalt des Erstattungsverlangens und nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 2.9.1993, Az.: 5 C 50/91, BVerwGE 94, 127 mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 18 Rn. 18). Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend gegeben. Aus den glaubhaften Angaben der Klägerin ergibt sich, dass ihre Tante die Kosten für die Assistenzkräfte nur vorschießen und nicht endgültig leisten wollte.

6.

  Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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